Wie wäre das? – Gebet wird wieder spannend

DR. WOLFGANG J. BITTNER JUNI 10, 2018

Wie wäre es, wenn Gebet wieder spannend wird? Über das Gebet gibt es eine Fülle von Literatur: Aufsätze, Bücher, von jeder nur denkbaren Sorte. Wer heute etwas Neues schreibt bzw. herausgibt muss sich ernsthaft fragen, ob er wirklich noch etwas Neues schreiben soll und vor allem: Ob er etwas Neues schreiben kann.

EINLEITUNG: METHODIK UND THEOLOGIE DES GEBETS

Lassen Sie uns das versuchen. Es sind die Jünger, die an ihren Meister herankommen mit der Bitte: „Herr, lehre uns beten!“ (Lukas 11,1) Jesus gibt ihnen das Gebet, das uns als Christenheit verbindet: das Vater-Unser. Die Gabe des Vater-Unsers wird uns an zwei Stellen in den Evangelien erzählt: in Lukas 11,1-4 und in Matthäus 6,9-13. Stellen Sie sich das einmal vor. Die Jünger Jesu waren Juden. Die konnten beten. Das ist doch überhaupt keine Frage, dass die beten konnten: im Synagogengottesdienst, in der Familie, in der ganzen Erziehung vom Alten Testament her. Die Frage, die sie an ihren Meister stellen, kann darum nicht bedeuten: Herr, wir können nicht beten. Also bring du uns die Anfangsgründe bei. Was aber dann? Sie beobachten bei Jesus eine Weise des Betens von der sie sagen: Herr, so wie du betest, so möchten auch wir es können. Herr, zeig uns das! Es ist interessant, dass Jesus auf seine Jünger nun nicht einzuwirken versucht mit einer Menge von praktischen Hinweisen. Dass er eben nicht sagt: Steh am Morgen früh auf. Bevor alles andere am Tag beginnt, wenn noch alles still ist, dann rede mit deinem Vater! Das wäre ein sinnvoller, praktischer Ratschlag. Aber bei Jesus kommt er so nicht vor. Jesus sagt auch nicht: Bete möglichst viel oder: Bete möglichst intensiv oder: Wenn du betest dann kämpfe so richtig mit der Aufbietung deiner ganzen Ernsthaftigkeit usw. Also: Vieles von dem, was heute in der praktischen Gebetsliteratur erscheint, das taucht bei Jesus nicht auf.

Womit setzt Jesus ein, wenn er mit seinen Jüngern über das Beten spricht? Vielleicht verblüfft uns jetzt das: Jesus bietet seinen Jüngern so etwas an wie eine Theologie des Betens. Sowohl Lukas wie Matthäus sagen: Jesus setzte ein mit der Frage nach dem Gottesbild. Was bedeutet das? Die Antwort auf die Bitte „Herr, lehre uns beten!“ lautet: „Du musst dir klar sein wie dein Gottesbild aussieht.“ Ich wage es, diese Beobachtung auch umzukehren, nämlich: In dem Moment, wo wir zu beten beginnen wird deutlich, welches Bild von Gott in unserem Inneren wohnt. Das kann man gar nicht verstecken. So wie Gott für uns ist wird auch die Weise sein, mit der wir uns in unserem Beten an Gott wenden.

Damit haben wir einen ersten und sehr praktischen Hinweis. Sieh doch einmal auf die Weise wie du betest. Wie machst du das denn? Welches Bild von Gott wird dahinter erkennbar? Ist Gott müde – dann wirst du ihn aufwecken müssen. Ist Gott geizig oder ein wenig abgestumpft, dann wirst du versuchen, ihn mit drastischen Bildern und Wehklagen zum Handeln zu bewegen. Ist Gott einer, der dich erziehen will, dann wirst du seine pädagogischen Tricks herausfinden müssen, um dem zuvor zu kommen usw. Ist Gott jemand, der dich auf die Probe stellen will, dann wirst du viel beten und hartnäckig beten weil du denkst, dass Gott ja nur dann hilft, wenn er deine Hartnäckigkeit – du nennst das dann vielleicht deine Treue, deine Hingabe, deine Ernsthaftigkeit – entdeckt.

(1) GEBET UND GOTTESBILD

Wir merken: Die Sprechweise unseres Betens, die Emotionen, die wir in unser Gebet legen zeigen – und zwar unmissverständlich – welches Bild von Gott in unserem Inneren wohnt. Das ist es, worauf Jesus seine Jünger aufmerksam macht. Bei Lukas erzählt er, nachdem er den Jüngern das Vater-Unser gegeben hat, das Gleichnis vom bittenden Freund (Lukas 11,5-8). . . . . . . . . . [6‘55- ist Gott für dich solch ein Freund, der um Mitternacht schläft? Ist Gott so jemand für dich? …. Aber Gott ist doch nicht so! . . . . . . . So also bei Lukas – 9:07]

Es ist deutlich: Das Vater-Unser wird eingeführt, wird geklärt in seiner Bedeutung nicht mit praktischen Hinweisen, wie man es auszuführen hätte. Darüber liesse sich vieles Gute sagen und vieles Gescheite. Es wird ausgeführt mit der Frage: Wer ist Gott eigentlich für dich? Welches Bild entspricht dem Glauben, den man bei Jesus von Gott erhält? Wenn die Frage lautet: Herr, wir wollen beten so wie du das machst, dann lautet die Antwort, die Jesus gibt: Dann erzähle ich Euch, wer dieser Vater im Himmel für mich ist. — Mit diesem Gleichnis zeigt Jesus sein eigenes Bild vom Vater im Himmel: nämlich von dem, mit dem er in den Nächten, in denen er mit ihm spricht, zusammen ist.

Nun haben wir bei Matthäus zwar andere Bilder, eine andere Reihenfolge, aber das Grundthema ist genau dasselbe. Wir wollen uns dem einmal zuwenden. Da sind verschiedene Hinweise die vorher kommen und verschiedene Abgrenzungen, die Jesus vornimmt: Wenn ihr betet, dann … usw. — und bevor er das Vater-Unser gibt fällt nun etwas ganz Entscheidendes. Jesus sagt: Wenn ihr betet, dann sollt ihr nicht viele Worte machen, kein unnützes Geschwätz machen … Luther hat in seiner unnachahmlichen Sprache übersetzt: Ihr sollt nicht plappern wie die Heiden … Und nun kommt das Entscheidende, warum dieses Plappern wie die Heiden, warum dieses unnütze Geschwätz so fatal ist. Jesus sagt: Das sollt ihr nicht tun, denn die Heiden, also die, die von Gott eigentlich nichts wissen, die haben zwar eine Ahnung, dass es Gott gibt, aber das Gottesbild in ihnen ist das Vertrackte. Es führt sie dazu zu meinen, „um ihrer vielen Worte willen würden sie Erhörung finden.“

Wir merken: Da geht es also um das, was der Mensch zu leisten hat. Jesus betont hier die Menge: „Viele Worte“. So oft ich diesen Abschnitt lese steht mir das Bild eines Automaten vor Augen. Ich wünsche mir etwas, darum bete ich und darum gehe ich auch hin zu diesem Automaten. Da steht die Gebrauchsanleitung. Oben steht, wie viel man hinein stecken muss. Danach sagt mir die Bedienungsanleitung, in welcher Reihenfolge ich alle Knöpfe drücken muss. Und wenn ich alles richtig mache, dann kann ich unten die Schublade des Empfangs ziehen und es kommt genau das heraus, was ich mir gewünscht habe. Jesus zeigt, dass es ein solches Verständnis des Gebets durchaus gibt: Gebet als Mechanismus eines Automaten – und mein Beten als Bedienung dieses Automaten. Und so sehen tatsächlich manche Gebetsanleitungen, Kurse, manche Gebetbücher aus. Hier wird das Gebet als ein Automat beschrieben. Es wird genau gezeigt, was man oben hineinwerfen muss … Sie können es sich ja vorstellen. Die Menge wird beschrieben, die Treue, die man hat, die eigenen Emotionen … Und Gott ist der, der genau darauf achtet, ob oben genug hinein gesteckt wird, ob die Reihenfolge stimmt, ob der Automat richtig bedient wird … und wenn alles gut läuft kann man unten ziehen. Da hat wieder jemand die „Gesetzmässigkeit vollmächtigen, des erhörlichen Betens“ entdeckt und preist seine Bedienungsanleitung an.

Wenn ich auf Jesus hinhöre, dann klingt das anders. Er sagt: „Wenn ihr betet, dann nicht so! Das ist der Heide in dir, der so beten will. Der meint, nur so sei es richtig, ja nur so werde man von Gott erhört. Nein: Nicht die Menge, nicht die Qualität, nicht dein Bedienen ‚macht es‘. Denn dann wäre Gott eben solch ein Automat. Gebetsanleitung hiesse dann: Wie manipuliere ich diesen Automaten, wie bediene ich ihn richtig? Ich möchte niemand verurteilen der so denkt. Es steckt viel Leiden, viel Sehnsucht und auch viel Liebe gegenüber Gott dahinter, durchaus auch bei den ‚Heiden‘, von denen Jesus hier spricht. Er verurteilt sie auch gar nicht. Aber er sagt: Was sie tun – und sie können oft nichts anderes weil sie es nicht anders verstehen – was sie da tun, das ist unnützes Geschwätz, auch wenn es fromm klingt.

Jesus beginnt also seine Unterweisung im Matthäusevangelium damit, dass er kenntlich macht, was man nicht tun soll. Aber nun kommt das Zweite: Wie dann? Wenn dieses Bedienen des Automaten falsch ist, wie macht man es dann besser?

Bevor wir da weiter gehen, lassen Sie uns noch einmal hinhören. Auch das ist ein ganz praktischer Ratschlag. Ich kann mich zurück lehnen und mir überlegen: Wir ist denn das mit meinem Beten, in meiner Gruppe, in der Gemeinde, in der ich bin, in der Kirche? Hängt es bei uns, bei mir nicht auch an der Menge der Worte, an der Menge dessen was ich mitbringe, was ich leiste? Steht dahinter – auch wenn ich mir das zunächst nur schwer eingestehe – das Bild des Automaten, der von mir gefüttert wird, der von mir gefüttert werden muss? Hat man es einmal durchschaut, dann ist es gar nicht so schwer zu erkennen.

Was sagt Jesus nun dazu? Die Antwort ist ganz parallel zu dem, was wir bei Lukas bereits entdeckt haben. „Ihr sollt nicht viele unnütze Worte machen wie die Heiden, DENN …“ Es gibt einen Grund, warum dieses Beten so unnütz, ja so verderblich ist. Es hängt am Gottesbild, sagt Jesus: „… DENN euer Vater weiss was ihr bedürft ehe ihr ihn bittet.“ Halten wir diese Einsicht doch einmal aus, lang und ausführlich. Der, zu dem ich bete – wenn ich so bete, wie Jesus das getan und wie er es uns überliefert hat – der, zu dem ich bete ist Vater. Was ihn als Vater auszeichnet ist: Er weiss was wir bedürfen. Wann weiss er es? Nicht nach unserem Beten, weil wir ihn informiert haben, ihn dazu bewogen haben, ihm die Dringlichkeit vor Augen gehalten haben … Sondern: Der mit dem du sprichst weiss was du benötigst, noch bevor du ihn darum bittest. Man muss diese Einsicht langsam und lange auf sich wirken lassen, damit sie in unserem Inneren ankommt und unser Inneres erfüllt. Es ist ja ungeheuer, was Jesus uns da sagt. Das heisst nämlich: Wer im Sinne Jesu betet, der kommt eigentlich immer zu spät. Der Vater sagt: Mein Kind, ich weiss es, ich weiss es bereits. Mein Kind, du läufst nur offene Türen ein.

Damit sind wir dort angelangt, von wo aus wir unser eigenes Beten betrachten können. Wie betet man zu einem Vater der weiss, was ich brauche, noch bevor ich ihn darum bitte? Es ist ja eigenartig, dass Jesus nicht den Schluss zieht: Ach, dann muss man ihn ja auch gar nicht erst bitten. Doch! Das soll ich tun und das darf ich tun weil mir klar ist, dass mein Vater all das bereits weiss. Er weiss zwar nicht alles, was ich mir wünsche, wohl aber alles, dessen ich bedarf. Das ist ein Bild von Gott – und dahinter steckt die Frage: Ist das der Gott, der in deinem Herzen wohnt? Wie sieht ein Gebet aus, das sich an diesen Vater wendet? Es ist gut wenn wir uns Zeit nehmen, uns hinsetzen und uns überlegen: Wie spricht man eigentlich zu einem solchen Vater? Sie können es auch umdrehen und sich überlegen: Wie spricht man zu einem solchen Vater eben nicht? Was darf man getrost auf der Seite lassen? Was ist unnötig? Was ist vielleicht auch ganz und gar unpassend? Wer selber Kinder hat, der weiss das gut; wer eine Partnerin hat, einen Partner, einen Freund, eine Freundin der versucht dem anderen zu sagen: Sieh her – ich weiss es! Alles was ich kann will ich gerne tun. Wie verletzend ist es wenn der andere unsere Zusage an ihn gar nicht hört, auf uns zukommt wie wenn wir unwillig sind, wie wenn wir nicht wollen, wie wenn er uns erst überstimmen und überzeugen muss … Da stehe ich verwundert da und sage: Ich habe es dir doch längst gesagt, dass ich an deiner Seite stehe … und so gut ich es kann werde ich es auch tun. Es ist verletzend, wenn die Zusage der Hilfe immer und immer wieder überhört wird und ich merke: Der andere nimmt gar nicht zur Kenntnis, wer ich wirklich bin. Meine Zusage der Treue hat keinen Raum in ihm.

Das aber heisst beten: Nimm zur Kenntnis, wer der Vater, von dem Jesus gesprochen hat, ist, wer er für dich ist. Und dann richte dein Beten darauf aus, dass es dem Bild des Vaters, von dem Jesus gesprochen hat, auch wirklich ist.

Soweit der erste Teil. Vielleicht kann es für uns eine Hilfe sein, das Bild des Automaten vor Augen zu sehen. Daran kann sich sehr vieles klären. Gott ist kein Automat, den man bedienen muss. Gott ist kein Gott bei dem man Gesetze einhalten muss, damit das Gebet vollmächtig und erhörlich wird. Das ist es ja, was uns das Gebet so mühsam macht und im Grunde genommen so traurig. Gott ist Vater. Wahrscheinlich ahnen wir alle noch viel zu wenig was es bedeutet, dass Jesus uns das Geheimnis Gottes durch den Vater-Namen aufgeschlossen hat für unser Reden mit ihm. Soweit das erste: Gebet und Gottesbild.

Und nun das Zweite. Ich nenne es – ein bisschen mit Vorsicht – das sogenannte Problem des unerhörten Gebetes.

(2) GEBET UND ‚EINHEIT‘

Wenn man mit Menschen über das Thema Gebet ins Gespräch kommt, dann taucht bald einmal ein Situation auf: Menschen haben um dies und um jenes gebetet, dringend, in grosser Not. Am Ende müssen sie sich eingestehen: Das Gebet ist nicht erhört worden. Wie gehen wir damit um? Stellt das angesichts der klaren Versprechungen Gottes seine Treue nicht in Frage? Solche Erfahrungen kennt jeder und jeder kann davon erzählen.

Wenn wir von daher einen Blick zurück tun ins Neue Testament dann muss einem jedoch auffallen: Im Neuen Testament wird oft und von ganz verschiedenen Aspekten des Betens gesprochen. Nur: Die Frage des unerhörten Gebetes kommt nicht vor. Im Gespräch wird dann oft hingewiesen auf Paulus der von seinem „Pfahl im Fleisch“ erzählt, einen „Engel des Satans …“ Dreimal habe er dafür gebetet. Tatsächlich. Da kommt ein unerhörtes Gebet vor. Nach meinem Wissen ist es im Neuen Testament das einzige (2. Korinther 12). Aber gerade dieses Beispiel zeigt, dass das sehr anders gemeint ist. Paulus betete in der grossen Gewissheit, dass sein Gebet erhört wird. Dass es in seinem Fall nicht geschieht, das wird ihm nun auch erklärt. Er begreift, warum der Weg Gottes mit ihm, es geht dabei um seinen Dienst am Evangelium, diesen „Pfahl im Fleisch“ notwendig macht.

Nun fragen wir: Was steckt dahinter? Nach meinem Lesen vermitteln die Aussagen der Evangelien die Gewissheit, dass Gebete gehört und so auch erhört werden: In den drei ersten Evangelien genauso wie im Johannesevangelium. Der Grundtenor, der hier angeschlagen wird, heisst: Wenn du betest, dann glaub daran! Wir werden auf die Frage des Glaubens im dritten Teil zu reden kommen.

Die Frage nach dem Glauben wird ergänzt durch den Hinweis: „Wenn zwei oder drei unter Euch eins werden worum sie bitten, dann wird es ihnen werden.“ Diese Aussage Jesu scheint zunächst rätselhaft zu sein. Sie kann ja wohl nicht meinen, dass zwei oder drei zusammen kommen, dann beraten sie wofür sie beten wollen, und dann werden sie eins miteinander und haben dann, nach dieser Aussage Jesu, seine Zusage, dass sie auch das bekommen, worum sie beten. Das aber kann ja nicht gemeint sein. Ich denke, das ist auch so nicht gemeint. „Eins-Sein“, das weiss jeder jüdische Mensch bis heute, meint das „Eins-Werden“ und das „Eins-Sein“ mit Gott. Es meint nicht das Eins-Sein unter uns Menschen. Das auch. Aber das Eins-Sein unter uns Menschen ist immer ein Abglanz, ist immer eine Folge, dass man eins wird mit Gott. So heisst es im grossen Grundbekenntnis Israels: „Der Herr, dein Gott, dein Herr ist EINER“ (5. Mose 6,4). In der Liebe und im Glauben werde ich EINS mit ihm. Und genau das ist wohl gemeint wenn Jesus hier sagt: Wenn zwei oder drei unter euch EINS werden … Das heisst: mit dem Vater EINS werden. „Eins-Werden“ heisst: mit Gottes Anliegen eins werden, mit dem eins werden, was er denkt, was er sich vorgenommen und was er haben will …, wie es Paul Gerhardt in seinem Lied so wunderbar dichtet. Dann werden diese zwei oder drei bitten und es wird ihnen werden. Ein Seelsorger des 19. Jahrhunderts hat darüber gesagt: Man sollte Gott nur um das bitten wovon man weiss, dass er es auch erhören will. Im Vater-Unser hat Jesus seinen Jüngern beigebracht, dass sie zunächst mit den Anliegen Gottes eins werden sollen. Die ersten drei Bitten wenden sich Gott zu, nicht dem Menschen: DEIN Name werde geheiligt, DEIN Reich komme, DEIN Wille geschehe … Hier ist es der Mensch, der sich zunächst mit Gott eins macht. Dann, wenn er das getan hat, kommt in einem zweiten Schritt auch der Mensch dran mit seinen Anliegen. Die sind nicht ausgeschlossen. Aber: Die Anliegen der Menschen sind nicht der Anfang.

Gemeint ist das auch in den Aussagen des Johannesevangeliums („was ihr bitten werdet in meinem Namen, das wird der Vater tun“ bzw. „das werde ich tun“). Das heisst doch nicht, dass ich meine Anliegen vor Gott trage und am Ende anfüge: Das beten wir in Jesu Namen. Um Himmels willen. Darum geht es doch nicht. In seinem Namen beten heisst dass ich unterscheiden kann: Welche Anliegen sind wirklich von Ihm? Es bedeutet: sich kundig machen, sich eins machen mit ihm in seinen Anliegen, und dann kann ich in seinem Namen etwas erbitten. Im Namen Jesu oder im Namen eines anderen etwas tun ist eine Rechtsformel. Da gibt ein Kaufmann seinem Diener einen Auftrag: Geh hin und kauf für mich dies oder jenes. Dieser Auftrag ist das Anliegen des Handelsherrn. Der Knecht bekommt den Auftrag, dieses Anliegen im Namen seines Herrn auszuführen. Der geht hin auf den Marktplatz und kauft das und sagt: Im Namen meines Herrn kaufe ich das. Der Knecht kann jedoch nicht einfach hingehen und sagen: O wunderbar. Auf dem Markt gibt es so vieles. Das hätte ich schon lange gerne gehabt. Bei allem und jedem, das ich mir wünsche, kann ich jetzt sagen: Im Namen meines Herrn kaufe ich das. Wir wissen doch, dass es das nicht ist. Wer im Namen Jesu beten will, muss sich zunächst einmal mit Gott eines machen. Wenn man dem Beten von Menschen zuhört, scheint es umgekehrt zu sein. Das Gebet wird vielen Menschen zum Ort, an dem sie versuchen, Gott mit sich selbst eins zu machen. Ich habe meine Anliegen, die zu Gott bringe. Mein Gebet ist mein Versuch, Gott auf meine Seite zu ziehen bis er endlich sagt, er sei mit mir einverstanden. Die Gebetsworte Jesu sind genau umgekehrt. Geh hin zu deinem Vater und werde du eines mit ihm. Dann gehe hin und bete in seinem Namen.

Das Problem der so genannt unerhörten Gebete besteht weitgehend darin, dass wir ungeübt sind im Hinhören auf das, was der Vater will. Im Rahmen der Kirchengeschichte hat es immer wieder Menschen gegeben, die das konnten. Für mich vorbildhaft sind das die beiden Blumhardt, Vater und Sohn, Pfarrer in Württemberg im 19. sowie am Anfang des 20. Jahrhundert. Ihr Beten bestand weitgehend darin, auf Gott zu hören. [… … …] Von ihnen habe ich wohl das Wesentliche für mein eigenes Beten gelernt. Sie sind hingegangen, um sich mit Gott eins zu machen, um dann in ihrem Beten – es war ja wirklich ihr Beten – mit Gott eins zu sein. Das Wichtige beim Beten ist nicht mein Reden. Das Entscheidende ist nicht, dass ich Gott auf meine Seite ziehe. Das Entscheidende ist mein Hören, mein Eins-Werden mit Ihm.

(3) GEBET UND GLAUBEN

Das Verhältnis zwischen Gebet und Glauben gehört zu den notvollen und darum wichtigen Aspekt, über die man unbedingt miteinander sprechen muss. Die landläufige Meinung lautet und beruft sich damit auf einzelne Aussagen im Neuen Testament, auch auf Aussagen Jesu, dass Gebet und Glauben nicht nur zusammen gehören, sondern dass unser Gebet in dem Mass erhört wird wie wir glauben.

Wenn Sie sich erinnern an den ersten Teil: Da hatten wir davon gesprochen, dass unser Gebet mit unserem Gottesbild zusammen hängt. Wie ist das nun? Wenn das Gebet ein Automat ist, dann ist das Glauben die Münze, die ich oben hineinwerfen muss. Dann kann ich ziehen und es kommt das heraus was ich mir wünsche. Wahrscheinlich formuliere ich das anders und sage: Unten kommt das heraus was ich glaube. Das ist eine der landläufigsten und weit verbreitetsten Verständnisse sowohl vom Beten wie vom Glauben – und ich denke, das ist eines der ganz grossen Missverständnisse. Denn all diese Aussagen, die Glauben und Beten miteinander verbinden, sie sind überraschend häufig im Neuen Testament. Nur meinen sie nach meiner Überzeugung etwas sehr anderes. Gehen wir doch noch einmal auf das Missverständnis ein. Jesus hat es ja auch so gemacht wenn er sagt: Betet nicht so wie die Heiden. In einem Internet-Beitrag geht es um Grundprinzipien biblischen Glaubens und Betens. Die Sprache ist deutlich. Prinzip Nummer drei: „Empfange was du glaubst noch bevor du es siehst. Dieser letzte Schritt basiert auf einer unumstösslichen Tatsache. Denn du musst ‚total zuversichtlich‘ und ‚total davon überzeugt sein‘, dass Gott vorherbestimmt hat, dass dir deine Bitte gewährt wird. Jede Spur von ‚vielleicht ist es nicht Gottes Wille‘ oder: ‚Vielleicht hält es Gott nicht für weise wenn ich das bekomme‘ zerstört die Prämisse dessen, was Jesus uns in der unten zitierten Schriftstelle lehrt.“ Die Sprache ist verräterisch. Sie suggeriert, dass es hier um Bedingungen geht, und zwar um Bedingungen – das ist das Gefährliche – die Jesus aufgestellt hat und in die Jesus eingeführt haben soll. Die Bibelstelle ist nach meinem Urteil falsch verstanden und führt darum zu solchen Konsequenzen. Ich lese weiter: „Diese Bedingungen (dass Gott es vielleicht nicht für weise und klug hält …WB) dem Gebet aufzuerlegen pervertiert Glauben in ein Hoffen und Wünschen. … Es klingt immer vernünftig und logisch und viele religiöse Leiter können es auch biblisch erklingen lassen, und doch widerspricht es dem, was Jesu gesagt hat.“ Soweit der Text. Und nun zitiert er jenes Wort Jesu von dem er meint, dass es seine Argumentation begründet: „Darum sage ich euch: Alles, was ihr im Gebet verlangt, glaubt nur, dass ihr es empfangen habt, so wird es euch zuteil werden.“ (Markus 11,24) Der Text fährt dann weiter mit der Behauptung, man müsse zuerst glauben dass man das Erbetene bereits empfangen hat und dann bitten; also nicht zuerst bitten und dann empfangen und danach glaubt man oder wie auch immer.

Die Grundvoraussetzung dieser ganzen Argumentation lautet: Der Mensch ist von sich aus fähig zu glauben. Der Glaube ist also etwas, das ich aus eigenen Kräften machen kann. Und wenn ich es machen kann, dann muss ich es irgendwie fabrizieren und Gott vorweisen – noch bevor ich das Erbetene bekommen habe – und dann wird Gott mich erhören. Sehen Sie den Automaten vor sich? Die Bedingung ist also nicht nur, dass wir glauben. Ich muss in solchem Glauben auch noch überzeugt sein, dass ich das Erbetene bereits empfangen habe. Das muss ich oben hineinstecken. Dann, so hat es Jesus doch versprochen, wird mir das, was ich glaubend erbeten habe, auch werden.

Beachten Sie also: Die Voraussetzung ist, dass wir Menschen diesen Glauben von uns aus machen können. Genau das aber ist die entscheidende Frage. Es ist eine der wesentlichen theologischen Grundsatzfragen: Wie ist das mit dem Glauben? Das war geradezu die theologische Grundsatzentscheidung aller jener Kirchen, die aus der Reformation kommen: Kein Mensch ist von sich aus fähig zu glauben. Anders: Glaube ist keine menschliche Möglichkeit. Er ist, wo immer er auftaucht, ein Geschenk Gottes. Er ist ein Zeichen dafür, dass Gott an einem Menschen handelt.

Glaube ist also das, was ich von Gott empfange. Und wenn ich nicht empfange? Ganz einfach: Dann empfange ich ihn eben nicht. Dann kann ich ihn Gott nicht vorweisen – und dann kann und muss ich ihn Gott auch nicht vorweisen. Da wird vieles missverstanden. Natürlich: Wenn ich den Glauben machen könnte, dann müsste ich ihn auch vorweisen. Und weiter: Wenn ich zu wenig glaube, dann ist das meine Verantwortung, ja geradezu meine Schuld.

Eine kleine Zwischenbemerkung: Hier geht es nicht um jenen Glauben, mit dem ich mich an Jesus wende, der mich nun in meinem Leben mit Gott verbindet und mich so in die Gemeinschaft mit Gott hinein rettet, wie es das Neue Testament ausdrückt. Es geht also um den Glauben als innere Gewissheit, dass Gott in einer bestimmten Situation so bzw. so handeln wird. Diesen Glauben kann ich nicht machen. Einen Glauben jedoch, den man nicht machen kann, den kann man auch nicht fordern. Beobachten kann man das an der Verkündigung Jesu. Jesus hat den Glauben von den Menschen nie gefordert, auch wenn uns das durch unsere bisherige Lese-Tradition so erscheint. Wir sind gelehrt worden, die Texte so zu lesen. Wenn man jedoch genau hinsieht, dann steht hier etwas sehr anderes. An keinem Ort fordert Gott, fordert Jesus den Glauben. Was aber dann? Jesus sucht den Glauben der Menschen. Dort, wo er diesen Glauben findet, dort bleibt er. Wo er ihn nicht findet, dort geht er weiter. Wo er keinen Glauben findet da merkt er, dass Gott, der Vater nicht am Werk ist. Es ist nicht so, dass Gott grundsätzlich nicht am Werk ist. Wohl aber, dass er jetzt, in diesem Moment dran ist. Dann geht Jesus weiter. Genau so sagt er es seinen Jüngern. Wenn Ihr in eine Stadt hineingeht und sie euch aufnehmen, dort bleibt. Wenn sie euch aber nicht aufnehmen, was macht ihr dann? Dann geht ihr weiter. Man kann den Menschen den Glauben nicht einreden, man kann ihn auch nicht fordern …

Ja, wie ist das nun mit dem Beten? Wie ist das mit der Aussage Jesu: „Alles, was ihr im Gebet verlangt – glaubt nur! Die Übersetzung versteht das als einen Imperativ: “Alles, was ihr im Gebet verlangt, glaubt es!“ Es liegt also am Menschen, der diesen Glauben vorweisen soll.

Die Aussage Jesu lässt sich jedoch auch ganz anders verstehen: „Alles, was ihr im Gebet von Gott erwartet und ihr findet dafür in euch auch den Glauben …“ Es geht also nicht um den vom Menschen hervorgebrachte, sondern um den von Gott geschenkten Glauben, den der Mensch nun in sich findet. Wenn du diesen Glauben in dir findest, dann bete in diesem Glauben. Und dann wird dir Gott auch das geben, was du in diesem Glauben erbittest.

Was heisst das? Wenn du in einer Sache mit Gott im Gespräch bist – wir haben das ja zuvor gehört: Mit Gott im Gespräch sein heisst, sich eins machen mit Gott und mit seinen Anliegen – da wird es immer wieder geschehen, dass in mir ein Glaube erwacht, dass Gott in dieser oder in jener Situation so handelt und nicht anders handeln wird. Es entsteht ein Glaube in mir, den ich gewiss nicht selbst gemacht habe. Das ist wohl das, was Paulus als eine der Gaben, die Gott der Gemeinde verleiht, verstanden hat (1. Korinther 12,9a). Einigen, so sagt Paulus, hat Gott die Gabe des Glaubens gegeben. Einigen – nicht allen! Darum ist es auch nicht möglich, den Glauben zu fordern. Man kann nur hingehen und nachsehen, bei sich selbst und bei anderen: Wo hat Jesus uns dieses Geschenk des Glaubens gemacht?

Ich bin überzeugt, dass Paulus noch an einer weiteren Stelle von dieser Gabe des Glaubens spricht. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom sagt der Apostel, dass jeder von uns ein „bestimmtes Mass an Glauben“ bekommen hat (Römer 12,3). Das ist dasselbe, das er in seinem Brief an die Korinther (12,9a) als „Gnadengabe des Glaubens“ bezeichnet. Jedem ist von Gott ein bestimmtes Mass an Glauben zugeteilt worden, jedem ist eine andere Gabe geschenkt. Keiner darf sich am anderen messen. Jeder soll dankbar mit dem Mass leben, das Gott ihm gegeben hat.

Es ist Gott, der mir mein Mass an Glauben zuteilt. Nicht ich bin es, der mein Mass an Glauben produziert. Da kommt es durchaus vor, dass mein Glaube in bestimmter Hinsicht klein ist. Ich habe keine Einsicht, wie Gott in dieser oder jener Angelegenheit handeln wird. Wenn ich den Glauben ansehe, den Gott mir schenkt, dann finde ich ihn nicht vor. In anderer Hinsicht kann mich aber ein starker Glaube erfüllen weil ich meine, von Gott etwas erfahren zu haben, zu hören, dass er in jener Sache unbedingt dies oder jenes für wichtig hält, dass er es tun will und auch tun wird.

Das Entscheidende ist, dass ich hinhöre: Vater im Himmel, welches Mass an Glauben gibst du mir? Es ist gut, wenn man diesen Abschnitt (Römer 12,3f) sorgfältig liest. Der eigene Sinn, so scheint er zu meinen, neigt zum Hochmut. Darum warnt Paulus auch davor: „Niemand richte seinen Sinn höher als sich (für ihn) zu sinnen geziemt.“ Das ist wie wenn er sagt: Blase deinen Glauben nicht auf und mach ihn grösser als das, was Gott dir geschenkt hat. Stell dich nicht dar als jemand, der einen riesigen Glauben hat, wenn in deinem Herzen gerade dieser Glaube nicht wohnt. Das hast du nicht nötig. Bleib bei dem, was Gott dir gegeben hat. Wollte Gott dir in dieser oder jener Angelegenheit Glauben schenken, dann hätte er das längst getan. Wenn aber er das nicht tut, dann produziere auch du es nicht. Das ist das, was Paulus – so meine ich – das jeweils verschiedene Mass des Glaubens nennt.

Was heisst das nun für das Gebet? Ich kann und darf beten im Mass dessen, was Gott mir an Glauben geschenkt hat. Manchmal erhalte ich konkrete Bitten, für diesen oder jenen Menschen zu beten. Das tue ich, aber ich versuche dabei, mich an die Regel zu halten, die ich da gelernt habe, nämlich: an das Mass meines Glaubens. Dass Gott helfen und heilen kann, das ist mir ganz gewiss. Daran zweifle ich nicht. Dass aber Gott diesen einen Menschen jetzt heilen wird, also dies jetzt und konkret so tun wird, wie die Menschen es erbitten, das kann ich sehr oft so nicht sehen, nicht glauben. Manchmal würde ich es sehr gerne glauben. Aber ich kann diesen Glauben nicht machen. Und wenn ich in mich hinein höre, dann sehe und erfahre ich diesen Glauben nicht in mir.

Was tue ich dann? Das ist einfach. Dann bete ich ganz allgemein. Vater im Himmel, du weisst um diese Not, die der Mensch mir geschildert hat, du bist ein Vater der weiss, was diese Menschen brauchen noch bevor sie dich bitten … Ich lege es in deine Hand und bitte dich um alles Gute für diese Menschen. Das etwa ist mein Gebet. Ich mache Gott keinen Gauben vor den ich nicht habe. Als ob er das nicht längstens durchschauen würde.

Der Kirchenvater Augustin hat einmal einen sehr weisen Satz gesagt, allerdings in einem etwas anderen Zusammenhang. Er sagt: „Herr, gib mir, was du befiehlst. Und dann, wenn du mir gegeben hast was du mir befiehlst, dann befiehl du mir was immer du willst“ (Da quod iubes – et iube quod vis. Augustin, Confessiones X,29.32.37). Auf das Verhältnis des Glaubens und Betens übertragen heisst : Herr, wenn du willst, dass ich in dieser Sache glaube, also glaube dass du jetzt eingreifst und genau so eingreifst, wie die Menschen sich das jetzt denken, dann schenk mir den Glauben. Und wenn du mir dann diesen Glauben schenkst, dann werde ich dich in diesem Glauben auch darum bitten.Aber wenn du mir diesen Glauben nicht schenkst, dann weiss ich trotzdem, dass du gut bist und es auf deine Weise, wie immer du mit diesem Menschen umgehst, gut machen wirst. Ich verstehe dann nicht, warum du so handelst, wahrscheinlich verstehe ich auch nicht, warum du so oder anders handelst. So vieles kann ich nicht einsehen. Mein Glaube reicht nicht bis dorthin. Aber das verlangst du auch nicht von mir.

Wir ahnen, was das Verhältnis zwischen Glauben und Beten in der Verkündigung Jesu bedeutet. Sei sorgsam und mach Gott keinen Glauben vor, den er dir nicht gegeben hat. Aber: Höre gut hin, was er dir gibt. Selbstverständlich darf jeder von uns bitten, dass das Mass des Glaubens grösser wird. Vielleicht wird mir die Not der Kinder in unserer Welt so gross, dass ich darum bitte: Herr, schenke du mir Glauben für die Kinder dieser Welt und für ihre Not. Wenn du das tust, dann gebe ich dir sehr gerne diesen Glauben wieder zurück.

Vielleicht ist Ihnen etwas ganz anderes wichtig: die Kranken, die Menschen in den Notsituationen der Verfolgungen, der Kriege, der Armut und des Hungers, was immer es ist. Sobald diese Sehnsucht in unserem Inneren auftaucht wird es schon so sein, dass Gott mich hineinnimmt in seine Sehnsucht, in sein Anliegen für diese Welt und seine Liebe zu seinen Menschen. Dann darf ich darum bitten, dass das auch zu meinem Glauben wird. Aber: Ich kann Gott nur das zurückgeben, was er mir zuvor geschenkt hat. Nichts davon habe ich selbst ‚gemacht‘. All das habe ich immer nur empfangen.

Da kommen die Jünger zu Jesus mit der Bitte: „Herr, mehre uns den Glauben“ (Lukas 17,5). Diese Bitte könnte einen an die Logik der Heiden (Matthäus 6,7) erinnern: Je mehr wir haben, desto … Geht es also doch um die Menge, die wir bei Gott vorzuweisen haben? Ist Gebet also wieder ein Art Automaten-Logik: Je mehr ich einwerfe, desto mehr werde ich beschenkt?! Die Antwort Jesu hebt diese Logik aus den Angeln. Es geht nicht um die Menge, also um die Vermehrung des Glaubens, die sich die Jünger wünschen. Es geht um die Frage, ob Glaube überhaupt da ist. Denn dann ist Gott als der Gebende da. Darum kann, ja darum muss das Interesse an der Menge des Glaubens grundsätzlich zurück gewiesen werden. „Wenn Ihr Glauben hättet [auch nur so gross] wie ein Senfkorn …“ (Lukas 17,6). Entscheidend ist, dass Gott im Geschenk des Glaubens gegenwärtig ist und ich das nicht mit der Menge des Glaubens als meiner eigenen Leistung verwechsle.

Zum Abschluss ein kleines Beispiel, das mir als jungem Christen entscheidend geholfen hat. Der Missionar James O. Fraser arbeitete im Südwesten Chinas (im Grenzgebiet zwischen China und dem damaligen Burma und Thailand). Seine Liebe galt der Volksgruppe der Lisu. Dennoch entstand unter ihnen während vieler Jahre keine Aufmerksamkeit für den Glauben. Nun erzählte er von einer geistlichen Erfahrung. Eines Tages habe ihn der Glaube erfüllt, für 100 Familien zu beten. Der Glaube sei so stark und klar gewesen, schreibt er, dass er dieses Gebet später nie mehr wiederholt hätte. Ein Jahr später kamen 106 (nach anderen Angaben 129) Familien zum Glauben. Im Briefwechsel mit seinen Freunden versuchte er, diese Erfahrung zu verstehen. Dabei spricht er vom „Gebet des Glaubens“. Dabei stellte er die rhetorische Frage: „Ihr werdet mich fragen: Warum hast du damals für 100 Familien gebetet und nicht gleich für 1‘000?“ Seine Antwort lautete: „Ich hatte Glauben für 100. Ich hatte aber nicht Glauben für 1‘000.“ Diesen Glauben erfuhr er als eine Gabe Gottes, an der er festhalten konnte.

Dieser Bericht von James O. Fraser hat mir im Blick auf mein Beten entscheidend geholfen. es gehört eine Demut dazu zu wissen, dass man Glauben nicht machen kann. Aber es ist eine Befreiung wenn man weiss, dass man sich an das Mass des Glaubens, das man empfangen hat, halten kann. Hinter uns steht keine Gebetsmaschine mit Prinzipien, die wir ausnützen können. Hinter uns steht ein Vater. Der weiss was wir bedürfen noch bevor wir ihn bitten.

EPILOG: GEBET UND FÜRBITTE ALS TEILNAHME AN GOTTES SELBSTGESPRÄCH

Wenn Jesus und Gott als den Vater vor Augen stellt der darum weiss was wir bedürfen noch ehe wir ihn darum bitten, taucht in Menschen oftmals das Bedenken auf: Was soll denn dann Gebet bzw. Fürbitte sein? Ist mein Beten sinnvoll? Soll ich nicht lieber schweigen? Ja, noch schlimmer: Macht Gott nicht ohnehin das was er will? Soll ich nicht alles fahren lassen, denn Gott weiss ja ohnehin alles? Dahinter steht die Angst auf, dass mich solche Gedanken nicht in die Liebe und in die Freude zu Gott entlassen, sondern in eine Art Passivität, vielleicht sogar in eine Mutlosigkeit und den Eindruck der Sinnlosigkeit. Ist Gebet unter solchen Voraussetzungen nicht eher ein Pseudogespräch, das man genauso gut auch sein lassen könnte. Lasst uns hinhören, was man darauf sagen kann. Entfalten müsste man es lange. Hier wenigstens ein paar Hinweise.

Im Johannesevangelium wird uns erzählt, dass Jesus uns im Glauben in die Mitte, also ins Herz Gottes hineinträgt. Dort wo er ist, dort sind auch wir. Er, Jesus, ist „im Vater“. Er ist aber auch „in uns“ und so sind wir zusammen mit ihm „im Vater“ (zentral in Johannes 14,20).   Das Johannesevangelium entfaltet das in verschiedenen Bezügen bzw. Formulierungen. Was heisst das? Die spätere Kirche hat das entfaltet durch den Hinweis auf die sogenannte Trinitätslehre. Trinität meint, dass Gott einer ist. Wir haben nicht mehrere Götter. Dieser eine Gott aber hat in sich verschiedene Standpunkte. Das meint: Wir haben einen Gott, der mit sich selbst reden, also mit sich selbst ein Gespräch führen kann. Wie sollte es auch anders sein. Wenn Gott die Liebe ist, dann ist er in sich selbst ein ständiges und liebendes Gespräch.

Vielleicht wissen Sie es noch. Als Kind konnte man verzweifelt sein, wenn man den Vater oder die Mutter um etwas bat und man fürchtete sich: Vater und Mutter könnten in sich unbeweglich sein. Ich habe als Kind keine Chance. Ich kann sagen und bitten was ich will, aber es bleibt bei dieser einen Antwort. Treue, Charakterfestigkeit, Prinzipien, so haben die Eltern das genannt und wahrscheinlich noch positiv gewertet. Als Kind hat einen das schier verzweifeln lassen. So ist das unter uns Menschen. Wir empfinden einen Menschen als reich und interessant, wenn er verschiedene Standpunkte kennt und auch einnehmen kann. Der sich und anderen im Gespräch sagen kann: „Es ist wahr. Von diesem Standpunkt aus gesehen sieht die Angelegenheit eigentlich ganz anders aus. Wenn ich mir das überlege, dann hast du recht …“ Das ist immer derselbe Mensch, der so spricht und so beweglich ist. Das sind nicht verschiedene Menschen. Das ist auch nicht ein Mensch, der in sich gespalten ist. Es ist ein Mensch, der die Fähigkeit, die Kultivierung besitzt, Dinge, Wertmassstäbe, komplexe Fragen und kindliche Bitten von verschiedenen Seiten her anzusehen. Dann ist ein Gespräch lebendig. Und dann kann man mit Recht erwarten, dass man seine Ansichten und seine Anliegen auch innerlich mit diesem Menschen und in sich selbst bewegen kann.

Das ist wohl das Hauptanliegen, das die Kirche mit der Einsicht in Gott als Trinität erkannt hat. Gott der Vater das ist derselbe Gott wie Jesus Christus der Sohn und das ist genau derselbe Gott, der eine Gott, der im Heiligen Geist unter uns gegenwärtig ist und uns mit ihm verbindet. Das sind nicht drei Götter. Das ist derselbe. Aber er ist eben der, der in sich verschiedene Standpunkte kennt und von ihnen aus, von der einen Seite, von der zweiten und von der dritten aus die Dinge verschieden sehen kann, erwägen kann und am Schluss auch entscheiden kann.

Ich stelle mir das immer ganz kindlich vor. Der eine Gott sitzt zu dritt in einem Stuhlkreis, einander zugeneigt in Liebe und Aufmerksamkeit, vertieft in das Gespräch, das aus dieser Liebe kommt. Sie beugen sich hin zur Not der Welt, zur grossen Sorge und zur kleinen Sorge der Menschen. Wie ist das nun? Wie sieht das aus? Die Katastrophen, die Flüchtlinge, die Verzweiflungen und der Hass. Sie sind im Gespräch: hin und her und hin und her … Und weil das Gott ist und kein politisches Gremium, darum ist das, was sie verbindet, die unglaubliche Liebe untereinander und die Liebe zu den Menschen, zu seiner guten Schöpfung. Da sind sie dran und erwägen hin und her.

Und nun kommt unsere Fürbitte. Da komme ich dazu. Gebet heisst: Ich bin eingeladen, an diesem Gespräch der Liebe teilzunehmen, nicht draussen zu bleiben. Fürbitte heisst nicht: die drei besprechen ihre Angelegenheiten, ja haben sie längst unter sich besprochen. Natürlich komme ich zu spät – aber nur mit dem Nennen meines Anliegens. Aber nicht mit ihrem Entscheiden. Wenn ich dann in meiner Fürbitte zu den Dreien hinzukomme dann, ja dann kann man es eigentlich nur ganz kindlich beschreiben: Nun komme ich und bete, bete für das, was ich für mein Anliegen halte. Ich rede mit den Dreien, die ohnehin schon längst im Gespräch über eben dieses Anliegen sind. Gebet und Fürbitte heisst nun, dass die Drei innehalten, mich wahrnehmen und mich einladen, an diesem Gespräch teilzunehmen. Mir ist jedes Mal als ob sie sagen: Komm, wir sitzen da zu dritt. Nimm dir einen Stuhl, wir rücken auseinander und dann sitzen wir zu viert zusammen. Du darfst mitreden. Wir freuen uns, wenn du mit berätst, mit fragst, mit teilnimmst an unserem Gespräch über diese Not.

Ich weiss nicht, ob Sie etwas anfangen können mit diesem Bild. Mir hilft es sehr viel. Ich bin nicht der, der Gott erst informieren muss. Ich bin nicht der, der hoffnungslos zu spät kommt, weil ohnehin bereits alles entschieden ist. Sehr wohl aber bin ich der, der eingeladen ist an dem Gespräch, in dem eigentlich ich ihm, dem lebendigen Gott, etwas sagen wollte, teilzunehmen. Ich bin eingeladen zu entdecken, dass dieses Gespräch längstens läuft. Fürbitte heisst: Ich bin eingeladen, an diesem Gespräch in Gott und mit Gott teilzunehmen. So sehr hoffe ich, dass unser Gebet, unsere Fürbitte einen solchen Charakter annimmt. Keiner von uns wird je einmal mit Gott oder gar gegen Gott kämpfen müssen, als ob wir Gott etwas abtrotzen müssten oder gar könnten. Gott ist die Liebe und nicht der Widerstand. Und Gott lädt uns ein, Sie und mich, an seiner Liebe teilzunehmen. Fürbitte ist Teilnahme an der Liebe Gottes zu seinen Menschen.

[Anmerkung: Die berühmte Dreifaltigkeits-Ikone von Rubljew legt diese Deutung der Trinität auch bildhaft nahe. Die drei Personen der Trinität sitzen um einen Tisch. Nach vorne, also zum betenden Betrachter hin, ist ein vierter Platz noch frei. Je weiter ich mich der Trinität nähere, desto mehr werde ich – gleichsam als vierter im Bunde – Teil dieser Einheit. Ich entdecke dabei, dass alle drei Personen mir zugewandt sind, gleichsam wartend auf mich. Der Tisch ist gedeckt. Der Kelch steht bereit.]